Eintritt in die Verschmelzung von Plastik und Körper?
Plastik ist ein wunderbares Material, leicht zu produzieren, haltbar, mit geringem Gewicht, praktisch beliebig formbar, dazu hart oder weich, zu fast allem verwendbar, auch zu Implantaten im Körper etc. Man könnte Plastik als das materielle Pendant zu digitalen Daten bezeichnen, aus denen virtuelle Welten gebaut werden, die sich über die reale Welt wölben und diese einschließen. Während die Erzeugung, Versendung und Speicherung digitaler Daten den Planeten mit erwärmt und deren materielle Träger die Umwelt belasten, breitet sich auch Plastik auf dem gesamten Planeten aus, ganze Regionen verschwinden unter Plastikplanen.
Es reichert sich in Deponien und in riesigen Plastikinseln auf den Meeren an – der Great Pacific Garbage Patch (GPGP) im Nordpazifikwirbel zwischen Kalifornien und Hawaii ist 1,6 Millionen Quadratkilometer groß -, beim langsamen Zerfall tritt es in Form von Mikro- und Nanoplastik-Partikeln ganz in den biologischen Kreislauf über. Mehr als 8 Milliarden Tonnen Plastik wurden weltweit in 60 Jahren hergestellt, fast 5 Milliarden Tonnen sind bislang in der Umwelt oder auf Müllhalden gelandet, es wird nur ein Teil des produzierten Plastik recycelt (Milliarden Tonnen an biologisch nicht abbaubaren Plastikmüll haben sich in der Umwelt angesammelt).
1950 wurden noch 1,5 Millionen Tonnen produziert, 2015 über 320 Millionen Tonnen. 2018 waren es schon 359 Millionen Tonnen. Tendenz weiter steigend, auch wenn ein paar Plastiktüten oder Strohhalme weniger hergestellt werden sollten. Und auch wenn plötzlich unwahrscheinlicherweise schnell kein Plastik mehr hergestellt werden sollte, das in die Umwelt gelangt, so ist das zerfallende Plastik auch weiterhin in Meeren, im Grundwasser, in Böden, in der Luft und in Organismen zu finden, zunehmend auch im Körper von Menschen, die Plastik mit Trinken und Essen, aber auch allein schon durch Atmen in sich aufnehmen und auch ansammeln. Sie werden dann nicht zu einem Cyborg, sondern zu einem Mischwesen aus biologischem Körper und Plastik: plastic man.
Wir nehmen 5 Gramm Plastik in der Woche auf
Wissenschaftler der australischen University of Newcastle sind nach Auswertung vieler Studien zu dem Schluss gekommen, dass die Menschen durchschnittlich 2000 Plastikartikel oder 5 Gramm Plastik wöchentlich in sich aufnehmen, das sind immerhin 250 Gramm jährlich. Noch weiß man nicht, ob und wie gefährlich das ist. Aber mittlerweile gibt es keine Möglichkeit mehr, kein Plastikkonsument zu sein. Das ist bereits alternativlos geworden, auch wenn Einzelne versuchen, selbst kein Plastik zu verwenden.
Eine Studie des Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der FU Berlin kam zu dem Ergebnis, dass Mikroplastik u.a. durch Abwasser verbreitet: „80 bis 90 Prozent der darin enthaltenen Partikel, etwa von Kleiderfasern, verbleiben im Klärschlamm. Dieser wird häufig als Dünger auf Felder ausgebracht, wodurch jährlich viele Tausend Tonnen Mikroplastik auf unseren Böden landen.“ Mikroplastik kann nicht nur Ökosysteme stören oder verändern. Beim Zerfall können sich neue physikalische und chemische Eigenschaften herausbilden, die toxisch sein können (Kleinste Plastikteilchen könnten global terrestrische Ökosysteme negativ verändern):
„Außerdem können Teilchen in Nanogröße Entzündungen auslösen, Zellbarrieren überwinden oder verändern und sogar besonders selektive Membranen wie die Blut-Hirn-Schranke oder die Plazenta überwinden. Innerhalb der Zelle können sie unter anderem Änderungen der Genexpression und biochemische Reaktionen auslösen. Welche langfristigen Effekte dies hat, ist noch nicht hinreichend untersucht. Zumindest für Fische wurde bereits nachgewiesen, dass sich Nanoplastik nach Passieren der Blut-Hirn-Schranke verhaltensändernd auswirkt.
Microplastics as an emerging threat to terrestrial ecosystems
Immerhin 17 Prozent des Proteinkonsums der Menschen wird über Meeresfrüchte gedeckt, weltweit werden am meisten Sardinen und Tintenfische gegessen. Nach Schätzungen nehmen Europäer, die viel Meeresfrüchte verzehren, durchschnittlich pro Jahr 11.000 Plastikteilchen in sich auf. Von den oben erwähnten 5 Gram entfällt etwa ein Zehntel auf Meeresfrüchte.
Überall Plastik in Meersfrüchten
Australische Wissenschaftler haben nun zufällig auf einem Markt jeweils 10 Krabben, Garnelen, Tintenfische, Austern aus einer Zucht und Sardinen gekauft und nach Plastikteilchen durchsucht, um zu sehen, wie verbreitet Plastik in Meeresfrüchten für den menschlichen Verzehr ist. Der Fisch wurde wie üblich verpackt, untersucht wurden nur die essbaren Teile. Verwendet wurde Pyrolyse-Gaschromatographie und Massenspektrometrie zur Entdeckung der Plastikkontamination, während sonst meist nur mit dem Auge größere Teilchen gesichtet und/oder Spektroskopie eingesetzt wird, womit aber Kleinstteilchen nicht entdeckt werden können.
Wie die Wissenschaftler in ihrer Studie, die in Environmental Science & Technology erschienen ist, schreiben, wurde in allen untersuchten Meeresfrüchten Polyvinylchlorid (PVC) gefunden, in vier – nicht in Austern – Polypropylen (PP) und in Krabben und Sardinen auch Polymethylmethacrylat (PMMA). Die höchste Konzentration von 0.04 – 2.4 mg g-1 im Gewebe fand man bei Polyethylen (PE) in Sardinen. Diese enthalten überhaupt das meiste Plastik, gefolgt von Krabben, Tintenfische am wenigsten. Es gibt mithin große Unterschiede, was die Plastikbelastung betrifft, zwischen den Arten, aber auch unter deren Vertretern.
Wie kommt das Plastik in die Fische?
Geht man von einer Mahlzeit mit 3 Sardinen aus, dann nimmt man 30 mg Plastik auf, bei Austern oder Tintenfische wären es bei einer Mahlzeit 0,7 mg. Bei Sardinen wurde nur das Muskelfleisch und die Haut untersucht. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass die Theorie nicht stimmen kann, dass das Plastik durch das Wasser oder Beutetiere aufgenommen wird. Studien hätten auch gezeigt, dass sich Plastik nicht im Körper anreichert. Der Befund zeige jedenfalls, dass man nicht die menschliche Aufnahme von Plastik vermeidet, wenn man nur das Muskelfleisch konsumiert.
Die Wissenschaftler vermuten, dass Plastikkleinteile über Kiemen und den Magen-Darmtrakt in die übrigen Körperzellen gelangen können. Es gebe aber dafür keine Nachweise. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Zubereitung und Kochen die Plastikteilchen aus dem Magen-Darm-Trakt, wo die Konzentration am höchsten ist, in das Fleisch gelangen könnten. Auch durch Transport, Verpackung, Textilien, Maschinen oder aus der Luft könnten Plastikteilchen in das Fleisch oder an der Körperoberfläche hängen bleiben.
Die hohen Mengen an PE in Sardinen könnten etwa von der Verpackung kommen. Studien haben gezeigt, dass schon beim Öffnen von Plastikbehältern oder -tüten zwischen 0.5 und 250 Mikroplastikteilchen pro Quadratzentimeter entweichen. Es sei damit nicht klar, ob die Plastikkontamination der Meeresfrüchte vorwiegend aus der natürlichen Umwelt oder aus der Art und Weise stammt, wie mit den Fischen nach dem Fang umgegangen wird.
Originalbeitrag von Florian Rötzer für Heise Online.